Edith Loosli - Wut: Destruktive Aspekte und der Ausweg
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· Wut: Destruktive Aspekte und der Ausweg
Von Edith F. Loosli
Aufgewühlt und in heller Wut
Wenn wir uns im Recht fühlen und leidenschaftlich empört sind, braust Wut auf, unser Selbstwertgefühl steigt in schwindelnde Höhen und bezeugt uns, dass Wut gut sei.
Wir glauben, dass für uns etwas zu holen ist, wenn wir ihr nur folgen.
So laufen wir Gefahr, loszubrüllen und zuzuschlagen.
Autorin:
Das Hochgefühl ist für den Empörten die treibende Kraft und Zustimmung, so dass er seinem Affekt willig folgt - auch dann, wenn die rasende Wut wächst und nicht mehr aufzuhalten ist, wenn die Folgen verheerend und gewalttätig werden.
Die Verhaltensforscherin Jane Goodall vermittelte uns wichtige Erkenntnisse über den Zusammenhang vom menschlich zügellosem Wutverhalten und dem gleichen euphorischen Verhalten bei Schimpansen. Da sind eindeutig ähnliche Verhaltensmuster, die beim Schimpansen deutlich zeigen, woher die schimpansische tödliche Wut stammt und wo sie ursprünglich zum Einsatz kam: zum Schutz der Jungen. (Bild)
Eine interessante Energie, deren entfesselte Natur wir aber ablehnen wegen dem Schaden, die sie in unserer Gesellschaft anrichtet: in Kriegen oder in gespannten zwischenmenschlichen Verhältnissen. Die besessene Wut übt Kontrolle, sie ist ein Werkzeug der Macht. Sie wirkt nicht ausgleichend oder versöhnlich, sondern agiert mit Aggression, Zerstörung und zielt nur auf Eigengewinn.
Enttäuschung und die Wut
Die Enttäuschung darf nicht auf das Recht auf Selbstverteidigung reduziert und die Wut zum Komplizen gemacht werden. Sie muss Versöhnung, Verständigung im Auge behalten.
„Auge um Auge, Zahn um Zahn“, der sprichwörtliche Vergeltungsaufruf ist möglicherweise das älteste Rachegesetz der Welt, dessen Ursprung in der mesopotamischen Kultur zu suchen ist.
Dieser „Aufruf“ tauchte auf Tontafeln (ca. 1730 v. Chr.) aus der Zeit eines babylonischen Herrschers auf, da der König versuchte, seinen Bürgern bei Streit oder Unfall gesetzliche Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Er erklärt in seiner Gesetzessammlung, was ein Täter oder was ein Opfer zu gewärtigen hat beim Verlust eines Auges, beim Verlust eines Zahns usw. Dem uralten Vergeltungsaufruf wurde dabei der Stachel der Rache genommen und in gerechte Gesetze umgewandelt. Der König verstand Wahrheit und Gerechtigkeit als wichtige Faktoren seiner Regentschaft.
Der Anspruch auf Selbstverteidigung enthält den Anspruch auf Vergeltung und ruft meist zu Wut und Rache und nicht zu Deeskalation auf.
Der Gerechtigkeitssinn
Seiner Meinung zufolge war der Sohn von seinem alten Vater und dem Notar beim Überschreiben des elterlichen Hofes mit beträchtlichem Umschwung schwer übers Ohr gehauen worden. Der hintergangene Erbe versuchte mit Nichtbezahlen der Schulden seinen alten Eltern zu schaden, ohne je offen über seine erfahrene Ungerechtigkeit zu sprechen, aber mit der geballten Faust im Sack. Das Schweigen wurde zur erdrückenden Waffe gegen die gequälten Angehörigen.
Im Untergrund loderten Hass und Wut, entzündet und zermürbt von einem zutiefst gekränkten Gerechtigkeitssinn.
Autorin:
Der Gerechtigkeitssinn ist ein angeborenes Gefühl, das schon kleinste Kinder vehement verteidigen.
Wie wichtig die gelebte Gerechtigkeit ist, erlebte die Autorin, als sie sich nach drei Jahren Schulunterricht in einem kleinen Bauerndorf von den Eltern der Schüler verabschiedete. Eine einfache Bäuerin reichte der Lehrerein die Hand und sagte: „Sie sind gerecht gewesen!“ Die Autorin staunte und merkte, dass Gerechtigkeit für diese einfachen Leute den wohl höchsten Stellenwert hatte über den anderen Eigenschaften.
Warum ist das so? Wo Gerechtigkeit herrscht in der menschlichen Gesellschaft, da ist Respekt, da ist Akzeptanz allen gegenüber. Die Menschen erleben Angenommensein und fühlen sich wohl und gesund.
Ungerechtigkeit hingegen meint Bevorteilung, Eigennutz, Respektlosigkeit, sie schliesst Menschen aus und weckt Hass und Wut.
Der Mörder gesteht
Er habe einen anderen Mann nach einer Meinungsverschiedenheit und einem gegenseitigen körperlichen Angriff kaltblütig erstochen. Auch als dieser schon tot war, habe er weiter und weiter auf ihn eingestochen. Der Mörder beschreibt seine Wut als eine Rage, gegen die er gar nichts mehr ausrichten konnte, die ihn in eine Richtung trieb, der er ganz ausgeliefert und nicht mehr Meister seines Triebs war.
Autorin:
Ein ärgerliches Ungeschick führt uns vor Augen, was geschieht, wenn wir mit Dingen konfrontiert werden, die wir nicht lieben. Wir betrachten solche Dinge als Feind, mit dem alles schief läuft. Weil wir der feindlichen Sichtweise folgen, ohne die Sachlage ganz genau zu überdenken, zu klären, bleibt das Resultat ohne jede Perspektive: Rachsüchtige Wut türmt sich auf gegen diesen Feind. Hass ist im Untergrund der Wut. Die Wut kommt aus unserem Bauch, sie steigt auf und besetzt zunächst unser Herz und rast dann den ganzen Weg hinauf in den Kopf. Wenn wir nicht achtsam sind, beginnt die besessene Wut durch den Mund, durch unsere Arme und Beine auszutreten, sie agiert mit Schlägen und Beissen, oder sie kann um unsere Köpfe schwirren und uns verrückt machen mit Ideen und Fantasien. All dies geht so lange weiter, bis die Energie zu Ende geht und ein schwerer Schaden angerichtet ist.
Die entfesselte Wut in allen Varianten und Gesichtern - wir stellen sie in Frage - wir suchen den Ausweg.
Titel
Wut: Destruktive
Aspekte und der Ausweg: Sachbuch mit biographischem Rahmen / Edith
Loosli, 2023, ISBN
978-3-033-10071-8 S.174 – IDN 1319579272